Von Schneewittchenzwergen und Rumpelstilzchen

Der kleine Felix ist mit seinem Papa Bergsteigen. Vom Gipfel betrachten sie die umliegende Landschaft und sind plötzlich beim Thema Nanomaterialien und ihrem Einsatz in der Abwasserbehandlung gelandet.
 
Von Alexander Jereb, Entwicklungsleiter Wassertechnik

... vier, fünf, sechs, sieben Berge sehe ich da. Weißt du, was hinter den sieben Bergen liegt?
Nein, was soll da sein?

Na, die sieben Zwerge natürlich! Papa, das weiß doch jedes Kind. 
Das habe ich jetzt ganz vergessen.

Ich mag die Zwerge, die waren zu Schneewittchen so lieb. Aber böse Zwerge gibt es auch. „Ach wie gut, dass keiner weiß …“ – das Rumpelstilzchen ist ein richtiger Giftzwerg. 
Auf Griechisch heißt Zwerg übrigens nanos. Und Nanoteilchen beschäftigen die Wissenschaft seit einiger Zeit tatsächlich – auch in der Wassertechnik.

Wie heißen die? Nanu, nana?
Nanoteilchen. Üblicherweise bezeichnet man Partikel in der Größe von ein bis hundert Nanometern so. Sie sind so klein, dass sie mit freiem Auge nicht mehr sichtbar sind – in der Größe von Viren oder Molekülen. Selbst mit einem klassischen Lichtmikroskop stößt man an die Grenzen. 

Cool, das sind zwergige Zwerge! 
„Nano“ hat sich in den letzten Jahren jedoch auch als Modewort etabliert und wird für alles Mögliche verwendet. Echte Nanomaterialien verhalten sich durch ihre Winzigkeit oft anders als derselbe Stoff in herkömmlicher Größe. Das kann sie für einige Anwendungen besonders wirksam machen, ja manche Anwendungen überhaupt erst ermöglichen. 

Wofür werden die Nanos verwendet?
Silbernanopartikel haben eine antibakterielle Wirkung. Deshalb kommen sie zum Beispiel in Farben zur Anwendung, in Kleidung oder in der Wundversorgung. Ähnliche Effekte haben Nanomaterialien aus Zinkoxid, Ceroxid oder Titandioxid. Das Titanoxid mischt man etwa in Farben und versucht so, seine photokatalytischen Eigenschaften zu nutzen. 

Was ist das schon wieder?
Titandioxid hat die Fähigkeit, mithilfe von Licht Oxidationsreaktionen zu starten. Bei Farben werden so selbstreinigende Oberflächen erzeugt. Das hat aber auch damit zu tun hat, dass Titandioxid mit Wasser einen geschlossenen Film an der Oberfläche bildet, über den Schmutzpartikel abtransportiert werden. 

Super, mit der Farbe streichen wir unser Auto und mein Fahrrad. Nie mehr putzen! 
Titandioxid-Nanopartikel werden übrigens auch als UV-Filter in Sonnencremes verwendet. Mit ihnen erreicht man einen hohen Lichtschutzfaktor, ohne weiße Schlieren auf der Haut zu hinterlassen. Die desinfizierende und die photokatalytische Wirkung von Nanomaterialien wie Titandioxid, Zinkoxid, Fullerene oder Nano-Silber wird auch in der Wasserbehandlung genutzt, zum Beispiel zur Trinkwasseraufbereitung in entlegenen Gebieten. 

Fuller-was?
Fullerene, das sind Kohlenstoff-Fünfecke, die oft zu einer Art Ball zusammengeschlossen sind – wie ein Nanofußball. 

Cool, dann können die Bakterien Fußball spielen! 
Verlängerte Fullerene werden als Carbon Nanotubes bezeichnet. Die werden oft als Bildsymbol für Nanopartikel verwendet. Den photokatalytischen Effekt versucht man für sogenannte Advanced Oxidation Processes (AOP) zu nutzen, um biologisch schwer abbaubare Spurenverunreinigungen zu zerstören. Titandioxid eignet sich da gut und ist auch vergleichsweise günstig. Antimikrobielle Nanos verhindern, dass Membrane zuwachsen oder schaffen stoffspezifische Membrane. Nullwertiges Nano-Eisen wurde bereits zur Zerstörung organischer Lösemittel verwendet oder zur Entfernung von Nitrat versucht. 

Diese Nanos können ja so einiges … 
Das stimmt. Es gibt vielversprechende Ansätze, aber für eine großflächige Anwendung in der Wasserbehandlung ist die Technologie noch zu aufwendig und teuer. Ein großes Problem ist, dass die Nanopartikel dazu neigen, zusammenzukleben. Das verkleinert die Oberfläche und macht sie weniger effektiv. Auch die Sicherheit muss geklärt werden. Nanopartikel sind so groß wie Viren oder Moleküle. Welche Auswirkungen haben sie auf die biologische Abwasserbehandlung, auf die Wasserorganismen, auf uns Menschen? Das haben auch viele Behörden und Institutionen erkannt. Nanotechnologie wird auf der einen Seite als Thema der Zukunft gefördert, andererseits versucht man, die Gefahren rechtzeitig zu erkennen. Die EU hat zu dem Zweck eine Beobachtungsstelle für Nanomaterialien (EUON) bei der europäischen Chemikalienagentur (ECHA) angesiedelt. 

Und, hat sie den Nanos schon auf den Zahn gefühlt?
Im Rahmen des Projekts NanoDESTINARA wurde das Verhalten ausgewählter Nanopartikel in der Kläranlage untersucht. Silber in Ionenform hat beispielsweise einen deutlich hemmenden Einfluss auf den Kohlenstoffund den Stickstoffabbau. In Nanoform konnte wie auch mit Materialien aus Cer, Titan oder Fulleren keine Hemmung festgestellt werden. 

Was heißt Hemmung?
Die Bakterien werden daran gehindert, die Nährstoffe zu verarbeiten. Die untersuchten Materialien haben auch andere schon genauer unter die Lupe genommen. Weitere Nanosysteme müssen erst intensiver erforscht werden. Auf der Kläranlage ist es jedenfalls so, dass die Nanopartikel offensichtlich zum Hauptteil rasch agglomerieren und am Belebtschlamm adsorbiert werden. Damit gelangt nur ein geringer Teil in den Fluss. Wie die Nanopartikel dort wirken, ist noch genauer zu untersuchen. Nach einem Bericht des Umweltbundesamts Deutschland gibt es Studien, die bei höheren Konzentrationen auf eine gewisse Toxizität auf Wasserorganismen schließen lassen. Eine abschließende Bewertung konnte der Bericht aus den Studien nicht ableiten. Daher wird durchaus ein Potenzial in der Nanotechnologie gesehen, man empfiehlt aber eine weitergehende Risikobewertung. Es ist auch zu erwarten, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen (REACH, Wasserrecht) entsprechend adaptiert werden, sodass die Besonderheiten von Nanomaterialien besser erfasst werden können. 

Das heißt, grundsätzlich gibt es viele Schneewittchenzwerge, aber ein paar Rumpelstilzchen könnten auch dabei sein? 
So könnte man es sagen. Bis dahin könnten wir ja zumindest einmal mit der Nano-Farbe anfangen, oder?
 
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