Papa, woher kommen die Streusel im Meer?

Im Urlaub ist Felix begeistert, als er die hohen Wellen entdeckt. Doch vor dem Baden lernt er noch so einiges über die winzigen Plastikteilchen im Meer.
 
Von Alexander Jereb, Entwicklungsleiter Wassertechnik



Papa, schau! Das sind coole Wellen, da will ich gleich hineinspringen. Aber was sind das für bunte Streusel dazwischen? 
Das sind keine Zuckerstreusel, das sind Plastikteilchen. 

Wo kommen die denn her?
Plastik in den Meeren, Flüssen und anderen Gewässern hat viele Quellen. Kunststoffmüll zum Beispiel, der anstatt in den Mülleimer irgendwo weggeworfen wird.

Wissen die Leute gar nicht, dass Plastik rechts hinein gehört?
Rechts?

Ja, so wie bei uns zuhause – rechts Plastik, links Restmüll.
Plastikmüll ist nur ein Aspekt des Problems. Verlorene oder zurückgelassene Fischereiausrüstung, sogenannte Geisternetze, stellen eine erhebliche Gefahr für Meerestiere, aber auch für die Schifffahrt dar. Fische, Wale, Schildkröten, Vögel können sich darin genauso verheddern wie Schiffsschrauben. 

Die armen Tiere!
Circa 70 Prozent des marinen Mülls können als Plastik bezeichnet werden. Besonders problematisch ist Mikroplastik, das sind Partikel, die kleiner als fünf Millimeter sind. 

Wie klein ist das?
So wie die „Streusel“, die da zwischen den Wellen zu sehen sind. Fische oder Vögel verwechseln sie oft mit Nahrung und schlucken sie. Und mit dem Fisch kommen sie dann sogar auf unseren Teller.

Igitt, ich mag keinen Plastikfisch! Ist viel Plastik in den Fischen?
Die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit gibt einen Mittelwert zwischen einem und sieben Mikroplastikpartikel in Fischen an. Nicht alles, was oft als Mikroplastik identifiziert wurde, ist tatsächlich Plastik. Die verwendeten Nachweismethoden unterscheiden häufig nicht zwischen Teilchen aus Kunststoff und anderen Materialien wie Sand, Metall oder Glas. Daher sehen manche Ergebnisse auch dramatischer aus, als sie tatsächlich sind. Zudem sind viele Gebrauchsgegenstände im Labor aus Kunststoffen. Das kann dazu führen, dass so manches Plastikpartikel nicht aus dem Meer, sondern aus dem Probengefäß stammt. Sekundäres Mikroplastik macht übrigens die Hauptmenge in den Meeren aus. Diese Partikel stammen von größeren Kunststoffteilen, die mechanisch oder durch andere Vorgänge zerkleinert wurden. Eine bedeutende Quelle ist unter anderem der Gummiabrieb der Autoreifen. Daneben gibt es noch primäres Mikroplastik. 

Was ist das?
Diese Partikel sind von Anfang an „mikro“: Pulver für verschiedene Anwendungen, Granulate für die Kunststofferzeugung oder auch Mikropartikel für Kosmetika.

Kosi-was?
Kosmetika wie Cremes, Shampoos, Duschbäder, Zahnpasten. Das Duschbad mit den kleinen bunten Kügelchen, das du einmal im Geschäft gesehen hast, zum Beispiel. 

Das hat so cool ausgesehen, das wollte ich so gerne haben. Bleiben die kleinen Kügelchen nicht in der Kläranlage?
Die Bakterien könnten damit spielen. Das wären aber große Bälle für die Bakterien. Bei einer klassischen Kläranlage werden die schwereren Feststoffe vom gereinigten Abwasser in den Nachklärbecken getrennt. Plastik ist generell eher leicht, oft leichter als Wasser. Solche Teilchen schwimmen daher an der Oberfläche.

So wie mein Plastikfisch, der geht auch nicht unter!
Daher ist davon auszugehen, dass Mikroplastik nicht vollständig von den Kläranlagen zurückgehalten wird. Untersuchte Kläranlagenabläufe enthielten im Durchschnitt bis etwa ein Partikel pro Liter, manche auch deutlich mehr.

Eines? Das ist ja gar nicht so viel.
So wenig ist das gar nicht: Jeder von uns produziert circa 150 Liter Abwasser pro Tag, das wären dann schon 150 Plastikteilchen, die du jeden Tag über die Kläranlage in den nächsten Fluss schickst. Für ganz Österreich würde man dann schon auf mehr als eine Milliarde Partikel pro Tag kommen.

Das ist aber ein riesiger Haufen!
Und es würden noch einmal so viele Fasern dazukommen, zum Beispiel von Kleidungsstücken. Ein Fleece-Pulli kann schon einmal 1.900 Fasern bei einem Waschgang verlieren. 

Ich hab’s ja gewusst, die Waschmaschine ist ein Kleidungsfressermonster! 
Tatsächlich schicken wir noch viel mehr Plastikteilchen auf die Reise in den Kanal, bis zu 180 Fasern und 430 Partikel in einem Liter Kläranlagenzulauf. Verglichen mit dem einen Teilchen im Ablauf sieht man, dass die Kläranlagen also doch einen hohen Anteil des Mikroplastiks entfernen. 

Was passiert mit den Plastikteilchen, die in der Kläranlage bleiben? Fressen die Bakterien sie auf?
Nein, Mikroplastik ist schwer verdaulich. Bakterien könnten es als Aufwuchsflächen nutzen. Am Ende landet es im Klärschlamm: bis 10.000 Partikel und Fasern je Kilogramm Trockensubstanz. 

Wie viel Mikroplastik ist jetzt wirklich in den Flüssen und Meeren?
Im Zuge einer Untersuchung des Umweltbundesamts in der Donau kommen jeden Tag bis zu 40 Kilogramm Mikroplastik nach Österreich und wir schicken bis zu 66 Kilogramm pro Tag weiter. In der Ostsee zum Beispiel wurden je Liter Meerwasser bis zu vier Fasern und 32 Partikel über 10 Mikrometer gefunden. Man schätzt die Gesamtmenge an Kunststoffen in den Weltmeeren auf 100 Millionen Tonnen. Jährlich kommen weitere 10 Millionen Tonnen hinzu. Plastik ist Teil unseres Lebens. Die Kunststoffe sind vielfältig und haben Vorteile, auf die wir kaum verzichten können. Daher müssen wir Wege finden, damit verantwortungsvoll umzugehen. Das bietet noch viele Möglichkeiten zu forschen. Es gibt übrigens auch von Bakterien produzierte Kunststoffe. 

Auch von den Bakterien in der Kläranlage?
Ja, tatsächlich. Auch die Kläranlagenbakterien produzieren polymere Substanzen. Es gibt sogar Überlegungen, ganz 
gezielt technisch verwertbare Kunststoffe, sogenannte PHA (Polyhydroxyalkanoate), das sind Polyester, herzustellen. 
Aus dem Abwasser könnten die nötigen Rohstoffe gewonnen werden, und die Mikroorganismen produzieren und speichern die PHA. 

Das ist aber cool!
Mit nur einem Haken: Der Prozess ist noch zu teuer und nicht konkurrenzfähig. So, aber jetzt springen wir in die Wellen!

Papa, deine Haare sehen jetzt aus wie Streuselkuchen. Warte, ich hole schnell meinen kleinen Kübel, und schon sind 20 Mikroplastikteilchen weniger im Meer!
 
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