Kann ich mit der Kläranlage sprechen?
Felix möchte Radfahren gehen, weiß aber nicht, ob das Wetter mitspielt. Sein Sprachassistent kann ihm diese Frage beantworten – weiß aber nicht, wie es in der Kläranlage aussieht.
Von Alexander Jereb, Entwicklungsleiter Wassertechnik
Papa, gehen wir nachmittags Radfahren?
Wenn es nicht regnet, können wir gerne eine Radtour machen.
Ich werde OK Google fragen. OK Google, wird es heute Nachmittag regnen?
Stimme Sprachassistent: Heute Nachmittag scheint die Sonne.
Siehst du, wir können heute Rad fahren. Ich freu mich! Google weiß alles. Da fällt mir ein: Kann ich Google auch fragen, wie es den Bakterien in der Kläranlage geht?
Das wird dir der Sprachassistent nicht beantworten können.
Ich versuch’s: OK Google, wie geht es den Bakterien in der Kläranlage?
Stimme Sprachassistent: Tut mir leid. Diese Frage kann ich noch nicht beantworten, aber ich lerne jeden Tag dazu.
Schade, Papa. Es wäre cool, wenn die Leute auf der Kläranlage schon früh genug wüssten, dass es den Bakterien nicht gut geht. Wenn zum Beispiel ein böses Virus kommt und alle Bakterien anstecken will. Oder wenn die lästigen Spaghetti-Bakterien auftauchen, dann könnten die Leute schon viel früher etwas dagegen tun – zum Beispiel eure Produkte zugeben.
Für das Betriebspersonal wäre das tatsächlich hilfreich. Allerdings sollten solche Details nur die Klärwärter wissen – und nicht Google und damit die ganze Welt. Kläranlagen sind komplexe Systeme. Die Standardparameter, also die einzelnen Werte, die auf Anlagen gemessen werden, reichen oft nicht aus, um Vorhersagen zu treffen.
Das habe ich jetzt nicht verstanden.
Nehmen wir an, wir haben zwei Kläranlagen. Beide sind genau gleich aufgebaut. Beide haben dieselben Zulaufwerte und die gleiche Abwassermenge. Trotzdem kann die eine Anlage ein Problem mit Fadenbakterien haben und die andere nicht. Bei der einen kann es nützen, ein bestimmtes Produkt zuzugeben, bei der anderen funktioniert nur ein anderes Produkt. Selbst bei Kläranlagen mit mehreren parallelen, identischen Straßen sind Unterschiede häufig: In der rechten Straße setzt sich der Schlamm gut ab, in der linken nicht.
Was macht der Klärschlamm auf der Straße?
Größere Anlagen haben mehrere Biologiebecken und Nachklärbecken, die parallel betrieben werden und auf die das Abwasser gleichmäßig aufgeteilt wird. Diese Becken nennt man Straßen. Das hat mit der Straße, auf der du Rad fährst, nichts zu tun.
Ah! Wasserstraßen für die Bakterien! Aber warum verhalten die sich so unterschiedlich?
Es gibt geringe Unterschiede, die oft nicht mitgemessen werden. Üblicherweise nimmt der Klärwärter auf den Anlagen Stichproben oder 24-Stunden-Mischproben und analysiert einzelne Parameter, also Werte, die das Wasser charakterisieren sollen. Allerdings sagen diese Werte nur aus, wie das Wasser zum Beispiel um genau 7 Uhr, als die Probe genommen wurde, zusammengesetzt war. Ich kann trotzdem nicht sagen, wie es um 10:15 Uhr ausgesehen hat. Zudem sind manche Kennwerte nur sogenannte "Summenparameter".
Die summen, die Parameter – so wie die Biene Maja?
Nein. Mit Bienen hat das nichts zu tun. Im Wasser sind so viele verschiedene Stoffe enthalten, da wäre es viel zu aufwendig jeden einzelnen zu analysieren. Daher fasst man einzelne Stoffe zu Gruppen zusammen. Organische Stoffe lassen sich zum Beispiel oxidieren, sie reagieren mit Sauerstoff. Wenn daher das Wasser mehr Oxidationsmittel verbraucht, schließt man daraus, dass mehr organische Stoffe darin sind.
Ja. Das verstehe ich.
Dabei gibt es aber zwei Probleme: Erstens weiß ich nicht, welche Stoffe genau enthalten sind. Zweitens gibt es auch oxidierbare nichtorganische Stoffe. Für den Normalbetrieb reicht das „ungefähre Wissen“. Wenn aber Betriebsprobleme auftreten, wäre es gut, mehr über die enthaltenen Stoffe und über den zeitlichen Verlauf zu wissen. Bis vor einigen Jahren ging das nicht. Jetzt kommen allmählich leistbare Messsysteme auf den Markt, die verschiedene Parameter kontinuierlich messen. Man muss halt bedenken, dass sie große Datenmengen erzeugen – ein paar Tausend Daten punkte täglich Lösungen für jeden Kennwert. Die muss auch wer auswerten.
Das klingt nach seeehr viel.
Oh ja! Aber die vielen Daten sind die Grundlage für eine Automatisierung bis hin zum Einsatz von KI-Systemen.
Ka-I? Was ist das schon wieder?
Das ist die Abkürzung für „Künstliche Intelligenz“. Wenn das Computersystem die vielen Messpunkte mit älteren Daten abgleicht, kann es vielleicht demnächst wirklich Prognosen und Entscheidungen treffen. Dann beginnt die Kläranlage mit den Klärwärtern zu sprechen.
Heute geht das noch nicht?
In Testläufen konnten KI-Systeme schon bestimmte Verunreinigungen entfernen und man kann mit ihrer Hilfe auch Kosten sparen. Selbstlernende Systeme konnten die Belüftung verbessern oder auch den Pumpenbetrieb – und so den Energieverbrauch senken. Auch der Einsatz chemischer Hilfsstoffe kann so angepasst werden. Manche Systeme konnten sogar vorhersagen, wann sich Blähschlamm bildet. Blähschlamm ist Schlamm, der sich schlecht absetzt – ein häufiges Problem auf Kläranlagen. Je früher man ihn erkennt, desto besser kann man reagieren.
Ah, dann kann der Kläranlagen-Mann fragen: Hey Kläranlage, wird es morgen geblähten Schlamm geben? Und die intelligente Kläranlage wird sagen: Nein, morgen wird alles gut laufen, aber nächste Woche wird sich der Schlamm schlechter absetzen und dann solltest du bei der Donau Chemie anrufen und nach dem Mittel Soundso fragen.
Und auch eine Reihe anderer Maßnahmen vorschlagen oder sogar selbstständig einleiten. Das ist für die Zukunft vorstellbar, an der Umsetzung von „water 4.0“ wird gearbeitet. Nicht nur für Kläranlagen ist das wichtig, sondern auch, um die Trinkwasserversorgung zu sichern, die in vielen Ländern immer kritischer wird. Künstliche Intelligenz ist eine super Sache. Eines sollten wir aber nie vergessen: KI sind leistungsfähige Systeme, aber nicht unfehlbar. Es wird auch in Zukunft Menschen brauchen, die mitdenken.