Die Liebesgeschichte der Ionen.
Es waren einmal in den Tiefen der Erde ein Natriumion und ein Chloridion, ganz genauso, wie sie einst aus den Urmeeren als Salz dorthin gespült und kristallisiert worden waren. Sie waren über Jahrmillionen dort unten als Paar glücklich und zufrieden. Eines Tages jedoch wurden sie von einer Wasserfontäne an die Oberfläche gespült und erblickten plötzlich das Tageslicht in Ebensee. Von dort ging die Reise mit dem Zug weiter nach Brückl. „Endlich einmal raus aus der Dunkelheit!“, dachten sich beide, „eine schöne Reise machen, das ist toll!“ Doch die Freude währte nicht lange, weil sich die Menschen in der Chemiefirma ein anderes Abenteuer für die beiden ausgedacht hatten.
Das Salz wurde in Wasser gelöst und die beiden Ionen konnten gemeinsam ihre abenteuerliche Reise fortsetzen. Sie wurden in die Elektrolyse gespült. Doch da erwartete sie ein trauriges Schicksal. Sie wurden unter elektrischen Gleichstrom gesetzt! Das positiv geladene Natriumion und das negativ geladene Chloridion wurden plötzlich voneinander getrennt. Aber es kam noch schlimmer: Mit aller Kraft versuchte das Natriumion gegen den starken Strom anzukämpfen, doch vergebens – es wurde zur Kathode gespült. Noch dazu hatte der Mensch eine Membrane dazwischen gespannt. Deren Löcher waren so klein, dass das große Chloridion nicht durchkam und so dem geliebten, viel kleineren Natriumion nicht weiter folgen konnte. Letztendlich wurde das Chloridion alleine zur Anode gespült. Das Natriumion verbündete sich, wenn auch unglücklich, auf der einen Seite der Membrane mit einem Teil des Wassers und wurde zu Natronlauge, während das Chloridion, noch unglücklicher, sich mit einem zweiten seiner Art verbinden musste, um zu Chlorgas zu werden – zwei unglückliche Liebschaften. Das Chlor wurde anschließend in einem Ofen mit Wasserstoff zur Salzsäure verbrannt und musste unter seinesgleichen ein wahrlich saures Dasein fristen. Da hatte es das Natrium als Lauge etwas besser: Es durfte in die Natriumhypochloritanlage und dort mit Chlorgas zu Hypolauge reagieren. So kamen die beiden Ionen unseres ursprünglichen Paares in große, getrennte Lagerspeicher und harrten ihres weiteren Schicksals.
Eines Tages im Sommer kam ein Mensch und holte die beiden unglücklichen Ionen in getrennten Kanistern von der Chemiefirma ab. Er hatte zu Hause ein kleines Schwimmbecken und benötigte beide Chemikalien zur Aufbereitung seines Wassers. Zuerst leerte er das Natriumion in Form von Hypolauge in sein Becken, in dem er dann viele Tage lang mit seiner Familie baden konnte. Durch die Zugabe der vielen alkalischen Natriumionen brauchte er aber auch einmal etwas Saures, um sein Wasser wieder in Ordnung zu bringen. Darum ging er in seine Garage,in der das traurige Chloridion inmitten seiner Artgenossen trotz Gesellschaft ein unglückliches und armseliges Dasein fristete. Der Mensch nahm den Behälter vom Regal und leerte die vielen Chloridionen in Form von Salzsäure in sein Schwimmbecken. Und so gab es für das Natriumion und das Chloridion in unserer Geschichte doch noch ein glückliches Ende! Sie trauten kaum ihren Augen, sie hatten sich nach all der langen Zeit wieder gefunden, sie freuten sich sehr, umarmten sich, drückten sich und vereinten sich wieder zu Salz. Sie erzählten sich von ihren Erlebnissen während des Alleinseins und hatten von da an wieder ein wunderbares Leben in Freiheit, in der Sonne und vor allem wieder gemeinsam – miteinander verbunden als Natriumchlorid.
Dieses – auf Tatsachen beruhende! – Märchen erzählt Joachim Maier (Produktionsleiter der Elektrolyse) den jungen Besuchern im Werk Brückl.